„Wir leben im Fortschritt“
Wir haben mit Wirtschaftsphilosoph Anders Indset über das Menschen-sein in der aktuellen Zivilisation gesprochen. Neue Technologien versprechen Fortschritt, erfordern aber, um in der heutigen Gesellschaft akzeptiert zu werden, neue Sichtweisen im menschlichen Reifeprozess. Wie kann das gelingen?
Herr Indset, muss man Optimist sein, wenn man versuchen möchte, den Zustand der Welt zu verbessern?
Anders Indset: Negativismus ist jedenfalls die falsche mentale Haltung dafür; der Druck, den es braucht, um notwendige Veränderungen einzuleiten, ist in dieser Konstellation zu schwach. Naive Optimisten sind in dieser Hinsicht aber genauso wenig überzeugend. So eine Geisteshaltung kann etwas Positives bewirken, muss aber nicht. Grundsätzlich gilt: Ist der Schmerz groß genug, können Menschen Unfassbares leisten.
Gibt es außer großem Schmerz, wie Sie das nennen, noch etwas Ermöglichendes?
Anders Indset: Was es für positive Veränderungen generell braucht, ist eine possibilistische Herangehensweise. Indem wir die Möglichkeiten, mit denen uns neue Technologien in die Hand spielen, mit der uns Menschen so wichtigen Gestaltungsfreiheit verknüpfen, haben wir tatsächlich gute Chancen, eine bessere Zukunft zu gestalten.
Wir lebten ohnehin in der besten aller Welten, hört man immer wieder. Können Sie dieser plakativen Aussage etwas abgewinnen?
Anders Indset: Durchaus. Historisch gesehen leben wir länger als je zuvor. Noch nie in der Menschheitsgeschichte starben im Vergleich zur gesamten Weltbevölkerung statistisch gesehen auch weniger Menschen an Armut oder in Kriegen.
Sie sprechen von der westlichen Zivilisation?
Anders Indset: Nein, das trifft generell zu. Auch in den ärmsten Regionen Afrikas ist die Armutsquote stark zurückgegangen, in den vergangenen Jahrzehnten um etwa 50 Prozent. Die Überlebenswahrscheinlichkeit der Kinder ist dank der Fortschritte in Wissenschaft und Medizin stark gestiegen. Vor 50 Jahren kamen in Afrika vier von sieben Neugeborenen nicht über das Kindesalter hinaus, heute schon. Auch deswegen wächst die Bevölkerung insbesondere in Zentral- und Westafrika als eine der wenigen Regionen auf der Welt rasant und wird Prognosen zufolge noch weiter zunehmen.