Die Reise des Wasserstoffs entlang der Wertschöpfungs-Kette

„Wasser ist die Kohle der Zukunft. Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.“

Mit diesen Worten schrieb Autor Jules Verne in seinem Roman Die geheimnisvolle Insel Wasserstoff bereits 1874 eine prägende Rolle für die Energiezukunft zu. Doch wo stehen wir heute, fast 150 Jahre danach? Begleiten Sie mit inspire ein grünes Wasserstoffmolekül auf seiner Reise entlang der Wertschöpfungskette in eine erfolgreiche Energiezukunft.

Vor der Reise: Das Warum

Bevor die Reise beginnt, gilt es, eine grundlegende Frage zu klären: Warum grüner Wasserstoff? Viele CO2-Emissionen lassen sich mit direkter Elektrifizierung vermeiden – doch Strom allein reicht für eine vollständige Dekarbonisierung nicht aus. Für „Hard-to-abate“-Sektoren – wie die Stahlerzeugung, die chemische Industrie oder Raffinerien – sowie Teile des Schwerlasttransports ist grüner Wasserstoff die einzige Lösung und damit der entscheidende Gamechanger zur Erreichung der Klimaziele.

Er ist CO2-frei und beispielsweise als Gas in industriellen Prozessen, als Treibstoff für Flugzeuge, Schiffe, Busse und Lkws oder als saisonaler Energiespeicher einsetzbar. Auch die thermische Verwendung durch Beimischung in erdgasbetriebenen Kraftwerken wird gerade intensiv erprobt. Wasserstoff erhöht dank Sektorkopplung die Flexibilität im Energiesystem und lässt sich über weite Strecken transportieren. Laut EU-Wasserstoffstrategie sollen in der EU bis 2030 rund 10 Millionen Tonnen grüner Wasserstoff produziert werden. Zur Deckung des Bedarfs würde das aber nicht ausreichen. Weitere 10 Millionen Tonnen müssten aus Regionen mit ausreichend Erzeugungskapazitäten importiert werden.

Steigende Nachfrage in Österreich

Heute benötigt Österreich 150.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr. Dieser wird noch fast ausschließlich grau (auf Basis von Erdgas) erzeugt. Bis 2035 wird ein Bedarf von 600.000 Tonnen grünem Wasserstoff (auf Basis von Erneuerbaren) erwartet. Bis 2040 soll die heimische Nachfrage auf rund 1,8 Millionen Tonnen steigen.

Wissenswertes zum Wasserstoff

  • Wasserstoff (H2) ist das kleinste chemische Element im Periodensystem.
  • In der Natur tritt es in gebundener Form auf (Beispiel: H2O = Wasser).
  • 1 Kilogramm Wasserstoff enthält etwa so viel Energie wie 3 Liter Benzin.
  • Wasserstoff lässt sich gut transportieren (zum Beispiel als Gas oder Flüssigkeit).

Erste Etappe: Produktion

Grüner Wasserstoff wird durch Elektrolyse aus erneuerbarer Energie gewonnen. Besonders in sonnen- und windreichen Regionen finden sich günstige Bedingungen für die Erzeugung. Der hier produzierte Grünstrom wird in den nahe gelegenen Elektrolyseuren vor Ort dazu eingesetzt, Wasser in seine beiden Bestandteile aufzuspalten – Sauerstoff und Wasserstoff. Ähnliche Anlagen können sich auch direkt am Meer finden, wo Strom aus Offshore-Windparks dazu verwendet wird, grünen Wasserstoff zu erzeugen.

„Wir fokussieren uns aktuell auf zwei Schwerpunkte: Neben der lokalen Produktion von Wasserstoff in Österreich und Deutschland erschließen wir diversifizierte Importrouten. Nur so lässt sich langfristig die Versorgung mit kompetitivem, grünem Wasserstoff sichern“, sagt Hamead Ahrary, Geschäftsführer von VERBUND Green Hydrogen. Dazu baut VERBUND diverse Partnerschaften in unterschiedlichen Regionen auf und treibt die Entwicklung großskalierter Erzeugungsprojekte aktiv voran.

Zweite Etappe: Transport & Speicher

Damit der grüne Wasserstoff in großen Mengen bei den Abnehmer:innen in Österreich ankommt, sind verlässliche Transporte erforderlich. Dafür eignen sich insbesondere Pipelines, welche durch Umrüstung oder Neuerrichtung zu einem europaweiten Wasserstoffnetz entwickelt werden. Für eine langfristige und diversifizierte Versorgungssicherheit arbeitet VERBUND an verschiedenen Importkorridoren, um die Erzeugungsregionen mit den heimischen Abnehmer:innen zu verbinden.

Auch hierzulande sind wichtige Projekte geplant: Dazu zählen die Erweiterung der West-Austria-Gasleitung, der Penta-West-Leitung sowie der Süd-Ost-Leitung durch den Fernleitungsbetreiber Gas Connect Austria. Mit der Aufrüstung des Gasleitungssystems für den Wasserstofftransport lassen sich unterschiedliche Quellen mit den Verbraucher:innen in Österreich verbinden. Davon würden die heimische Wirtschaft und Industriecluster in Grenznähe ebenso profitieren wie die Umwelt. Eine zentrale Rolle für die Energiewende spielen zudem saisonale Speicher für grünen Wasserstoff. Die Idee: Im Sommer zu viel produzierter Sonnen- und Windstrom wird in Form von Wasserstoff gespeichert und so in den bedarfsintensiveren Winter gebracht.

Im April erzielte VERBUND zusammen mit RAG Austria und weiteren Partner:innen einen wichtigen Meilenstein: Mit Underground Sun Storage 2030 ging der weltweit erste Wasserstoffspeicher in einer unterirdischen Porenlagerstätte in Betrieb. In dieser sektorübergreifenden Anlage wird Sonnenenergie mit Elektrolyse in grünen Wasserstoff umgewandelt und in einer natürlichen Gaslagerstätte im oberösterreichischen Gampern gespeichert. Die Größe des Speichers entspricht dem Sommerüberschuss von etwa 1.000 Photovoltaikanlagen auf Einfamilienhäusern.

Vielversprechende Importkorridore

Um den steigenden Bedarf in Mitteleuropa zu decken, muss grüner Wasserstoff künftig auch importiert werden. Dazu werden aktuell vor allem drei Routen verfolgt:

  • Südroute: Import über Italien
  • Nordroute: Import über Deutschland
  • Westroute: Import aus Spanien

Wasserstoff als Energiespeicher

Mit grünem Wasserstoff lässt sich Ökostrom in großem Maßstab speichern. Das eröffnet neue Perspektiven für die Energiewende. Denn das Potenzial für klassische Pumpspeicher ist hierzulande so gut wie ausgeschöpft. Künftig könnten etwa umgerüstete Gasspeicher ressourcenschonend saisonale Kapazität bevorraten.

Ziel: Anwendung

Am Ende seiner Reise ist das Wasserstoffmolekül in Europas Industrie angelangt: Vor allem für energieintensive Industriezweige spielt grüner Wasserstoff eine große Rolle. Schon heute ist (grauer) Wasserstoff ein wichtiger Grundstoff für viele industrielle Prozesse. Durch den Umstieg auf grünen Wasserstoff lassen sich Prozesse dekarbonisieren und europäische Industriestandorte sicher für die Zukunft machen.

In Österreich wird auf Hochtouren am Einsatz von grünem Wasserstoff in der Industrie geforscht. Diese Reise ist erst der Start. Grünem Wasserstoff gehört die Zukunft: Er wird 2030 die Industrie mit hohen Temperaturen versorgen, den Schwerverkehr antreiben und eine wichtige Rolle als Energiespeicher spielen. Damit ist das „Multitalent“ entscheidend für das Gelingen der Energiewende. 2019 nahm VERBUND mit voestalpine und Siemens im Projekt H2FUTURE die weltweit größte Pilotanlage für die industrielle Produktion von grünem Wasserstoff in Betrieb. Weitere Industrieprojekte stehen in der Pipeline. Ein Beispiel ist das EU-geförderte Projekt Green Ammonia Linz: Zusammen mit LAT Nitrogen plant VERBUND bis 2026 den Bau einer 60-Megawatt-Elektrolyse für die nachhaltige Herstellung von Ammoniak – etwa für Düngemittel oder Melamin. Mit dem teilweisen Umstieg auf grünen Wasserstoff in diesem Projekt lassen sich jährlich bis zu 90.000 Tonnen CO2 einsparen.

Hamead Ahrary ist Director Hydrogen bei VERBUND AG.

Im Gespräch

mit Hamead Ahrary – er ist Geschäftsführer der VERBUND Green Hydrogen GmbH. Zudem hat er die Position des Bereichsleiters im Geschäftsbereich Wasserstoff der VERBUND AG inne. In dieser Funktion ist er für die Entwicklung und Umsetzung der Wasserstoffstrategie von Österreichs führendem Energieunternehmen verantwortlich.